Humberto Maturana und Francisco Varela knüpfen bei ihrer Bestimmung des Lebens an die Tradition des Organismus-Begriffs an, geben diesem aber durch ihren Begriff der Autopoiesis („Selbst-Hervorbringung“) eine systemtheoretische Wendung. In Kontinuität zu Kant und Jonas verstehen beide das Leben als ein prinzipiell freiheitstheoretisches Phänomen. So hält Varela die Möglichkeit, die Funktionsweise des Lebens zu verstehen, für durchaus realistisch, jedoch unter der „fundamental condition“, „that the autonomy of the living is highlighted instead of forgotten, as it has been for a long time”[1]. Maturana bestimmt Organismen als „living systems“ und als „autopoietic machines“.[2] Das individuelle Leben als autopoietische Maschine unterscheidet sich wesentlich von bloß “allopoietischen Maschinen”, deren Produkte nicht zur Aufrechterhaltung ihrer selbst beitragen (wie etwa ein Auto, welches seine Ersatzteile von außen erhält und welches nicht regeneriert): „Autopoietic machines are autonomous; that is, they subordinate all changes to the maintenance of their own organization, independently of how profoundly they may otherwise be transformed in the process.“[3] Ein weiteres Charakteristikum von autopoietischen Maschinen ist ihre Individualität, Identität und Einheit, welche sie durch ihre spezifische Operation aufrechterhalten und regenerieren. Ein solches autopoietisches System konstituiert nach Varela eine „centerless identity“, ein holistisches Netzwerk von Prozessen, welches durch seine operationale Geschlossenheit ausgezeichnet ist. Die Autopoiesis-Theorie von Maturana und Varela kann im Zwischenbereich von Biologie und Philosophie verortet werden (als eine „Meta-Biologie“).
[1] Francisco Varela: On defining life. In: G. R. Fleischaker et al. (eds.), Self· Production of Supramolecular Structures, Dordrecht 1994, 23-31.
[2] Humberto Maturana/Francisco Varela: Autopoiesis and Cognition. The Realization of the Living. Dordrecht u.a. 1980.
[3] Ebd., 80.